Kultur aus Silur

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Merhan
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Das Kindertotenhaus - Ende des Adlermondes

Am Mittag des Folgetages klart es auf. Mit dem Wind lässt auch die Kälte nach und die Luft hat plötzlich jene göttliche Klarheit, die man gelegentlich im Hochgebirge findet. Die umliegenden Gipfel, ja der ferne Bel- Arad scheinen zum Greifen nahe. Ihrem Führer, dem Traumritter Estel Eisendraht ist die Erleichterung anzusehen. Bei gutem Wetter werden sie Orsos schnell und gefahrlos erreichen. Prinz Berendor erspäht auf einem nahen Felsbuckel ein kleines Steinhaus. Überrascht fragt er Estel Eisendraht nach dem Gebäude.
„Das ist ein Kindertotenhaus“, antwortet der Traumritter bedrückt. Der Prinz blickt ihn ratlos an. „Vielleicht sollten wir es aufsuchen. Es mag euch zu denken geben“, ergänzt Estel.
Eine kurze Kletterpartie bringt sie auf die Kuppe mit dem Haus. Es ist nur zwei auf zwei Schritt groß, schlicht und sorgfältig aus dem anstehenden Stein gemauert. Näherkommend sehen sie einen Eingang ohne Türe und ein Fenster, das zum Bel- Arad geht. „Da ist jemand drinnen“, erkennt Berendor und deutet auf eine kleine Gestalt, die reglos auf einer steinernen Bank sitzt. „Hier?“
Estel Eisendraht ist zum Prinzen getreten und liest für ihn die Runeninschrift auf dem Türsturz: „DINAND WACHT FÜR EUCH“. „Dinand?“, spricht Berendor den Wächter an. „Er wird euch nicht hören“, erklärt ihm der Traumritter traurig: „Er ist seit Jahrhunderten tot. Das Erste Volk Silurs, das lange vergangen ist hat vor Pondaron dieses Haus und dutzende weiterer gebaut. Kindertotenhäuser. Wir heutige glauben, dass sie das Kostbarste opferten, was sie hatten. Ihre Kinder. Die Kälte hat sie bewahrt und so wachen sie noch heute.“
Prinz Berendor ist empört: „Das ist entsetzlich! Wie konnten sie?“ Estel Eisendraht antwortet ernst: „Was wollt ihr opfern denn das Allerkostbarste wenn die Not groß ist und euer Glaube an die Götter fest? Gold?“
„Wir Silurer glauben, dass schon das Erste Volk, unsere Vorgänger die Pflicht hatte den Lavadienern zu helfen das Tor im Bel- Arad geschlossen zu halten und alle ihre Kindertotenhäuser sind auf den Bel- Arad ausgerichtet. Vielleicht gehorchen Dinand und seine Gefährtinnen und Gefährten in den anderen Totenhäusern der gleichen Pflicht, der ihr auf dem Gipfel des Lichtberges am Stein der Dena gehorcht habt.“
„Sie sind schöne Kinder, makellos und gesund, die in den Totenhäusern als Opfer starben. Ich bin sicher, dass sie von ihrem Volk, ihren Eltern, ihren Freunden geliebt wurden. Sie tragen Spielzeug in den Händen und sie tragen die schönen Kleider ihres Volkes, doch aus dünnen Stoff, dass sie, regungslos in der Kälte ausharrend, schnell erfroren. Sie wurden nicht eingesperrt, oder gefesselt, oder vorab getötet, sondern sie harrten freiwillig aus, ihren Opfertod durch die Kälte erwartend. Ich glaube, sie wussten um die Bedeutung ihres Todes und haben ihn gläubig und für ihre Gemeinschaft erwartet.“
„Wir wollen wollen das Totengebet für sie sprechen, wie es Sitte in Silur ist, wenn zu einem Ort des Todes tritt: Gehe mit dem Segen der Götter, möge Horcan dich geleiten...“
Schweigend und nachdenklich verlassen sie die steinige Kuppe mit dem einsamen Totenhaus in dem ein tapferes Kind seit Ewigkeiten wachend auf den Bel- Arad blickt.
Merhan
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Die Traumritter - Anfang des Katzenmondes

Das Wetter bleibt kalt und klar, und obwohl nachts der Frost beißt ist das Vorankommen leichter als zuvor. Endlich rasten sie oberhalb eines breit ausgeschobenen Tales. Im Talgrund, tief unter ihnen steht eine kleine, sechseckige Burg, auf einer runden, steinigen Kuppe, mit einer von sechs Türmen verstärkten Ringmauer an der entlang Wohn- und Wirtschaftsgebäude errichtet wurden. Am Fuß der Kuppe wachsen Bäume dicht an dicht. Im Phialae liegen, aneinandergeschmiegt, Bauernhäuser, Ställe und Scheunen, im Peristera der Kuppe beginnt eine Schlucht, so tief eingeschnitten, als ob sie Silur spalten will. Auf dem sonnigen Machairashang des Tales unter ihnen weiden Schafe und Ziegen, der schattige Ophishang gegenüber ist mit dunklen Nadelbäumen bis hoch zur Baumgrenze bewaldet. Oberhalb ist nichts als Stein und Eis und Himmel.
Cylios Esbilar beschreibt den Ausblick: „Dies ist unsere Burg - die Ordensburg der Traumritter des Weißen Kreuzes! Es ist eine Gründung des Traumritters Lystram von Aetate, der Anfang des dritten Jahrhunderts nach Pondaron die Schuld für eine Niederlage des Reiches Metharia auf Kiomba auf sich nahm und mit Exil bestraft wurde. Er ließ sich im Jahre 204 n.P. hier nieder, um Kinder des Silurischen Adels im Geiste des Traumrittertumes zu erziehen. Man sagt der Familie von Aetate nach, sie habe stets exponierte Stellungen gewählt. Der Weg, die sich im Dorfe unten, in Orsos gabelt kommt von Belfalas empor. Der Arm nach Klados führt tiefer nach Morossos hinein. Der Arm nach Lychnos aber windet sich empor nach Ersor, zur Festung Salonien, lange Zeit eine Stellung des Zardos und weiter zu den Gipfeln des Bel- Arad mit seinem Dimensionstor, welches den Darkon in der Innenwelt einsperrt.“
König Katuum und Kaisererbe Berendor werden von den Traumrittern in die Mitte genommen und auf einen Ziegenpfad steigen sie abwärts. Bald lassen sie Eis und Fels hinter sich, gehen über die grünen Viehweiden des Hanges und schließlich durch das Wäldchen. Kaz Kalundheimen, der flinke Traumritter des Horcan läuft voraus die Besucher anzukündigen.
Erzmagier Katuum bittet um eine Pause und weist auf die niedrig wachsenden Bäume um sie herum. „Sind dies Weißblütenbäume, auch Ebereschen oder Vogelbeeren genannt, dem Gelehrten als Sorbus Aucuparia bekannt?“ „In der Tat“, antwortet Lura Baronin von Brattland, die Traumritterin der Jaffna stolz: „Der Wald geht auf einen Schössling zurück, den Lystram von Aetate ins Land brachte. Hier, wo das Licht gegen die Finsternis steht wachsen sie besonders gut. Es ist das beste Holz für Bögen in den Händen der Kämpfer des Lichtes und Stäbe aus diesem Holz leisten Magiern, wenn sie gegen Dämonen kämpfen ausgezeichnete Dienste. Nicht zu vergessen, dass die Frucht eine wertvolle Komponente der Magie ist.“ Katuum nickt. All diese Dinge zu haben würde er wahrlich schätzen und er würde sie im Interesse des Kaiserreiches gut verwenden. Lura, mit Jaffnas Gabe der tiefen Einsicht in die Seele von Mensch und Elf gesegnet ist es nicht entgangen.
Entlang der Rampe, die das Burgtor mit dem tiefer gelegenen Dorf verbindet haben die Bewohner der Burg Aufstellung genommen, von der geringsten Viehmagd über die meist adeligen Schüler bis hin zu den Traumrittern in ihren schwarzen Rüstungen. Reisige nehmen den Wanderern das Gepäck ab, Knappen bringen Wasser und Tücher, dass sie sich den Staub von Händen und Gesicht waschen und Cylios Esbilar höchstselbst öffnet in traditioneller Ergebenheitsgeste seinen künftigen Kaiser Berendor und dem hochverehrten Elfenkönig Katuum das Burgtor.
Zum Festmahl werden die Gäste in der trapezförmigen Großen Halle empfangen. Ein Gemälde schmückte die lange Wand gegenüber den Silurischen Fenstern. Dargestellt ist die Burg Aetate, Heimat von Traumritter Lystram und ihr Fall, Ursache seines Exils auf Silur.
Cylios Esbilar sitzt der Tafel vor, rechts und links sitzen die Ehrengäste, Berendor und Katuum. Der Platz neben Katuum wurde Boxcalf Burbaki zugewiesen, dem Lehrer für Strategie und Taktik und Traumritter des Thagoth. Er berichtet über die Schwierigkeiten Knappen für den Orden zu gewinnen: „Der Silurer schätzt den Kampf auf Distanz, ist mit dem Bogen geübt und zieht die zweihändige Hellebarde, mit der er den Gegner von sich fern hält dem Schwert und dem Schild des Traumritters vor. Schwierig ist es auch, die Zauberwirker Silurs für das Traumrittertum zu begeistern. Natürliche Zauberwirker zieht es zur ALMAKAN, zur Magierakademie oder zum KRANGOS, zum Großen Tempel, gar in die Kreise von Druiden und Schamanen wo sie sich alleine auf das Zaubern konzentrieren. Eine vielversprechende Kandidatin sagte mir, im Kampf würde sie Waffen und Rüstung fortwerfen und ihre Magie wirksamer einsetzen als Ordensschwestern und -brüder göttliche Gaben und Waffen. Wir boten ihr an, das zu demonstrieren. Sie hat Recht behalten. Wir gewinnen praktisch ausschließlich Personen, die keine natürliche Begabung zur Magie besitzen und auf die Gaben der göttlichen Patrone angewiesen sind, wenn sie dennoch zaubern wollen. Möglicherweise müssen wir unsere Rolle überdenken, sind vielleicht in Silur nur Erste Reihe, Deckung für Bogenschützen und Zauberwirker die hinter uns agieren.
Die Nachbarin von Berendor ist schweigsam und der Prinz braucht alle in Chalkis erlernte Beredsamkeit sie aus der Reserve zu locken. Schließlich gelingt es ihm ihren Namen herauszufinden: „Aki Eibenblatt? Gräfin Helne Värmann hat euch Heldin des Friedens mit den Dunkelelfen in Ersor genannt! Aki wiegelt ab. Sie sei vor allem Botschaft gewesen. Sie glaubt, dass sich die Kultur der Dunkelelfen in den Jahren um 435 n.P. gewandelt hat und dass sie ein Signal des Friedens überbringen durfte, das Silurs verstanden und akzeptiert hat. Aki glaubt, mit der Mehrheit der Silurer, dass unter den Dunkelelfen lange eine Gruppe dominierte, die Pottundy verehrte und verantwortlich war für Attentate, die auf Silur geschehen sind. Später hat sich in der sicheren Zuflucht Salonien eine andere Gruppe durchgesetzt, die Parana anbetet und Silur die Gabe der Friedensgöttin, den Frieden angeboten hat.
Prinz Berendor ist erstaunt: „Ihr vertraut einem Volk welches die Göttin des Wahnsinns verehrte, dass es nun die Göttin des Friedens anbetet, obwohl sich beide Göttinnen spinnefeind sind?“ Aki nickt. Sie hat den Friedenswunsch der Dunkelelfen wohl hunderte male bezeugt und trotz des gemeinsamen Friedenstempels auf der Grenze zwischen Silur und Ersor ist in Silur Furcht und Misstrauen geblieben und bei den Dunkelelfen gewiss nicht minder. Der Friede ist fragil.
Berendor bohrt nach: „Und Gerechtigkeit? Die Morde? Die Attentate?“ Aki seufzt: „Wir werden sie nicht aufklären und deswegen können wir niemanden verfolgen und niemanden vor Gericht stellen. Wir können es nicht riskieren einen Täter aus dem Volk der Dunkelelfen zu ermitteln. Der Ruf nach Gerechtigkeit und Strafe wäre die Folge, würde Silur in einen Konflikt mit Ersor stürzen und dort der Pottundyfraktion Auftrieb geben. Neue Morde würden geschehen. Ich weiß, die Dunkelelfen haben Parana, den Frieden gewählt. So stellten sie uns Silurer vor die Wahl zwischen Artans Gerechtigkeit und Paranas Frieden und wir haben gleich den Dunkelelfen Parana gewählt.“
Am Folgetag bittet Burgherr Cylios Esbilar den Hohen Besuch, Traumritter und Knappen, ja ihn selber zu unterweisen. Sicher ist auf Myra kaum jemand gleich dem Erzmagier Katuum qualifiziert, Zauberkunde zu lehren, ein zentrales Wissen für alle Traumritter, die ja das Kaiserreich gegen böse Magier, die Kreaturen der Dunkelheit und die Kulte der Finsteren Sechs verteidigen. Und kaum jemand kann besser als Kronprinz Berendor, der künftiger Kaiser Karcanons die Kultur des Reiches seines Vaters, dessen Politik und Institutionen erklären. So stärken die beiden hohen Gäste als Lehrer das enge Band zwischen den Traumrittern Silurs und dem gemeinsamen Kaiserreich.
Der Tag des Abschieds schließlich sieht die Schwertleite für eine eine Gruppe junger Traumritteraspiranten, die feierlich in den Ritterstand erhoben werden. Nach Anrufung der Götter des lichten Pantheons, unter Chnums Himmel und auf Denas Erde legten Berendor und Katuum den Knappen die Sporen an, gürten sie mit dem Schwert und überreichten ihnen den Schild mit den Zeichen der göttlichen Patrone, welche die angehenden Ritter sich zuvor erwählt haben und von denen sie als Paladine akzeptiert worden sind. Ein dreifacher Schlag in den Nacken, Zeichen der demütigen Unterwerfung des Traumritters unter die Gewalt der Götter, der Herrscher und des Traumritterordens beendet die Zeremonie.
Angeführt von Cylios Esbilar und von einer Ehrengarde der Traumritter begleitet verlassen Berendor und Katuum die Ordensburg des Weißen Kreuzes um durch das Breetal abwärts nach Bresos zu gelangen, dem Hauptort von Vrenschild, der Grafschaft Prinz Berendors auf Silur.
Merhan
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Die Kaiserliche Grafschaft Vrenschild - Anfang des Katzenmondes

Als Graf von Vrenschild ist Prinz Berendor auch Teil des Silurischen Adels. Auf der Reise in seine Grafschft erklärt Cylios Esbilar Prinz Berendor dessen Kultur: „Bisher seid ihr vor allem entlang der Pilgerstraße durch abgelegene Landesteile Silurs gereist. Dort habt ihr das Silur der Freien Familien kennengelernt, die an die Gleichheit, die Freiheit und an die Geschwisterlichkeit der Menschen, wohl möglich aller Wesen glauben. Ich möchte euch mit der Welt des Silurischen Adels vertraut machen.“
„Sicher schon auf der Silurfahrt, im ersten Jahrhundert nach Pondaron, selbstverständlich angeführt von König Jermay, dem ersten Herrscher und ganz gewiss in den folgenden Jahrzehnten traten einzelne Personen durch Kompetenz, Autorität und Kampfkraft hervor, Anführer, Adelige von Natur aus. Zum Wohle aller organisierten sie die Gesellschaft, im bewährten Muster von Herr und Bauer, in dem der Fürst die Last der Führung und die Verantwortung für die Verteidigung übernimmt um dem Bauern ein sicheres und einträgliches Leben zu ermöglichen, zum gemeinsamen Nutzen beider. So entstanden unter diesen Anführern Adelsländer in den bevorzugten, fruchtbaren Landesteilen Silurs, an deren Rande Wildnis wucherte, noch darauf wartend urbar gemacht zu werden.“
„Nicht alle wollten sich in dieses gelungene Gesellschaftsmodell einfügen und manche versuchten in kleinen Gruppen in der Wildnis zu überleben, eigneten sich Ländereien an, die zwar nicht erschlossen waren, aber natürlich einen Herren hatten. Dieses Treiben suchte der Adel selbstverständlich zu unterbinden und in der Folge kam es zu manchem Konflikt. Mit dem Widerstand der Besatzer lohnte sich bald die Rodung der Wälder und der Pfadbau im Gebirge nicht mehr und der Adel konnte diese, allen nutzbringende Aufgabe nicht mehr leisten. Er konzentrierte sich auf das Wohlergehen seiner Bauern und ließ den Freien Familien die Wildnis.“
„Später haben Druiden diese Trennung ideologisch untermauert, indem sie der Wildnis Bedeutung für die Fruchtbarkeit Silurs zuwiesen und sie konnten viele Personen vom Erhalt der Wildnis überzeugen und so mit der Trennung Silurs in Nutzland und Wildland die Rolle der Freien Familien festschreiben.“
„Bei der Eroberung Silurs im Jahre des Feuers 407 n.P. leistete der Adel einen fürchterlichen Blutzoll beim heroischen Versuch Silur zu verteidigen. Alle Mühen waren vergebens und viele Geschlechter des Adels erloschen. Nach dem Exil musste der Adel erleben, dass König Ragall altes Adelsland, deren direkte Erben gefallen sind den Freien Familien übereignete, die ohne große Verluste im Exil die Invasion überstanden haben. Zugleich mussten bewährte und verdiente Adelige akzeptieren, dass sie als Verwalter des Landes nicht mehr erwünscht waren, weil gewählte Hauptleute mit den Stimmen der Freien Familien in den Kronrat, das alte Adelsparlament Silurs einzogen, jetzt Amon- Gawaith genannt, ein geschwätziges Gebäude der Gewöhnlichen.“
„Ist das so?“ fragt Prinz Berendor Ekne Vent, eine junge Ritterin, die neben ihm geht und sich mit ihrem Schild das die Hinde, die Hirschkuh zeigt zu ihrer Patronin Dena bekennt. Berendor erinnert sich, dass er selber sie in der gestrigen Zeremonie gespornt und gegürtet hat.
Sie lacht und winkt ab: „Es gibt immer viele Wahrheiten und wohl möglich hat jeder seine eigene. Was Cylios Esbilar sagt ist die Wahrheit vieler Adeliger, auch vieler Traumritter, die er sich zu Eigen gemacht hat. Tatsächlich sind die Mehrheit der Hauptleute adelig, weil ein gewisses Vermögen, über das wohl jede Adelsfamilie verfügt und eine gewisse Ausbildung, die vor allem die Kindern des Adels genossen haben Voraussetzung für das Amt ist. Wenn er von einem geschwätzigen Gebäude der Gewöhnlichen spricht disqualifiziert sich der Adel selber. Der hat im Jahre 407 Blut gelassen, doch das haben die Freien Familien auch. Es gab und gibt hervorragende und sich selber aufopfernde Anführer unter den Adeligen, die ihre Bauern mit ihrem Leben verteidigt haben und mit ihrem Vermögen für sie eingestanden sind und auch heute vorbildlich für sie einstehen, doch genau so gab und gibt es Bauernschinder und Ausbeuter. Vielleicht lest ihr einmal die „Jüngere Geschichte Silurs“ von Arvesta Borlinga. Sie orientiert sich am Königtum und ist in weiten Teilen eine Hagiographie Ragalls von Silur, stellt aber auch die Sicht der Freien Familien da. Ich habe gehört, dass Van Sverresgard eine Geschichte Silurs aus druidischer Sicht schreibt. Keine Sicht ist umfassend wahr und alle beleuchten unterschiedliche Aspekte, doch wer sie gemeinsam betrachtet gewinnt ein Bild das vielfältiger und vollständiger ist als jemand, der sich eine Sicht zu Eigen nimmt und auf deren alleinige Wahrheit beharrt.“
Den Weg das Breetal hinab begleitet die gewohnte Bequemlichkeit der Krooge die Gruppe und ohne weitere Ereignisse wird Bresos, das Dorf der Grafschaft Vrenschild erreicht. Die adeligen Besucher werden erwartet. Jeder Haushalt hat eine beige und blaue Fahne ausgehängt, die Bauern stehen in ihren besten Kleidung, ebenfalls in beige und blau, den Farben ihrer Tracht vor den Türen und verneigen sich so tief sie es vermögen vor Berendor, ihrem Grafen und künftigen Kaiser Karcanons.
Morossos ist ein Amonsolunda, eine Krongemeinschaft, die dem König Silurs eigen ist und aus der er Gebiete herauslösen kann, um sie als Lehen zu vergeben. Kronprinz Berendor hat daraus die Grafschaft Vrenschild von Ragall, seinerzeit noch König von Silur als Geschenk zu seinem 12. Geburtstag erhalten. Tatsächlich ist sie, wie alle Adelsländer Silurs nur ein winziges Gebiet, ein Teil des Breetales mit Wäldern und Weiden, dem Dorf Bresos mit einer Walkmühle, der Werkstatt eines Wagners, dem Denatempel und schließlich dem Silurische Haus, der Residenz der Vogtin.
Mit dem sicheren Blick eines Adeligen erkennt Berendor, dass seine Grafschaft wohl verwaltet ist. Aknes Galba, die ihm von Ragall von Silur als Vogtin empfohlen wurde ist offenbar eine ausgezeichnete Wahl. Die Häuser sind proper, die Bauern und das Vieh gesund, ein Murengang auf einem fernen Hang befindet sich in Aufforstung.
Seinem Zug schließen sich alle Untertanen, vom Greis bis zu den kleinsten Kindern auf den Armen ihrer Eltern an. Schließlich ist der Dorfplatz erreicht. Herab aus der Pforte des auf einer Anhöhe gelegenen Silurischen Hauses, traditioneller Wohnsitz des Inseladels kommen seine Reisigen, angeführt von der Vogtin, aus dem Tempel der Dena tritt der Priester der Gemeinde. Zur Bequemlichkeit von Prinz Berendor, der hier Graf von Vrenschild ist wird ein gepolsterter und geschmückter Stuhl herangetragen.
Wie es das Silurische Recht beim ersten Einzug eines Adeligen in sein Adelsland vorsieht huldigen ihm seine Untertanen, schwören Gefolgschaft und Treue. Leven Clockwell, der Priester der Dena bittet zu Beginn um den Segen der Göttin des Heimes für alle anwesenden. Anschließend predigt er über einen Spruch eines Mundes Denas, überliefert im Tar- Aim- Krang, dem heiligen Buch der Religion des Volkes Silur: „Dena sagt - Bei meinem Aufbruch habe ich jedem einen Besen aus der Kammer geholt, aber nur einen Sessel und einen Schemel aufgestellt. Wenn ich mein Haus betrete, ist Staub in jedem Besen?“ In Silur wird der Adelsstand mit seinen Privilegien weithin akzeptiert, doch die Privilegien wollen verdient sein. Tradition und Erbe alleine rechtfertigen in Silur keine Herrschaft.
Graf Berendor erhebt sich aus seinem Sessel. Vor ihm kniet zunächst Leven Clockwell, der Priester nieder um Gefolgschaft und Treue zu beeiden. Der Schwur von Aknes Galba, der Vogtin, die als zweite vor ihm kniet beinhaltet neben Treue und Gefolgschaft auch rechtes Wirtschaften, ist sie dem Grafen doch zusätzlich als Verwalterin seiner Güter verpflichtet. Dann huldigt das ganze Dorf, Bäuerinnen und Bauern, die Müllerin und der Wagner und alle Familienangehörigen, verspricht seinem Herren gemeinsam Gefolgschaft und Treue. Wie es vom Landesherren verlangt wird verspricht Graf Berendor, der zuvor von Cylios Esbilar zuvor über das Ritual unterrichte worden ist die verbrieften und gewohnten Rechte seiner Untertanen zu achten und ruft, wie es von ihm nach der Huldigung erwartet wird einen Festtag aus, an dem er Jedermensch frei halten will. Im Gegenzug gewährt im seine Grafschaft, ebenso den Erwartungen folgend eine Sondersteuer um die Kosten der Huldigung zu begleichen. Prinz Berendor führt König Katuum, Cylios Esbilar und die Traumritter und Aknes Galba samt den Reisigen hoch zum Silurischen Haus, das seit 12 Jahren das seine ist und das er heute das erste mal betritt.
Berendor berichtet: „König Ragall von Silur hat mir die traditionellen Residenzen des Silurischen Adels beschrieben: Ein festes Haus mit dicken Mauern, Schießscharten, einem hochgelegenen Eingang und einer Wehrplattform auf dem Dach, als Bauform etabliert in den konfliktreichen Jahren des dritten Jahrhunderts nach Pondaron, wohl geeignet dem Heerbann eines adeligen Rivalen, einem Kriegshaufen der Freien Familien, plündernden Piraten oder streunenden Monstern zu widerstehen. Mit Vorratsräumen und Küche im Erdgeschoss, mit einer Halle im Obergeschoss, zugleich Speise- und Festsaal, Tempel des Chnum und Schlafplatz der Reisigen und mit Kammern für die Adelsfamilie darüber vereint so ein Silurisches Haus viele Funktionen und ist zugleich hoch aufragendes Symbol der Adelsherrschaft.“
„Ich habe dieses Haus gemeinsam mit dem architekturbegeisterteten Ragall gezeichnet. Wir haben die Bauform kriegerische Jahrhunderte in die Gegenwart transformiert, mit Silurischen Fenstern statt Schießscharten um Licht in die Mauern zu lassen, mit einer Treppe zum Eingang im ersten Stockwerk statt einer einziehbaren Leiter und mit einem Satteldach mit Kammern für die Reisigen statt einer nicht mehr benötigten Wehrplattform.“
„Auch wenn ich sie heute das erste mal betrete kenne ich meine Grafschaft gut. Ragall hat mir jedes Halbjahr die Berichte von Aknes Galba vorgelegt und mir die Steuern vorgerechnet. Er übergab mir die Verantwortung für Vrenschild, und auch wenn er Anregungen gab war es doch stets an mir zu entscheiden. Mit Vrenschild habe ich ein Einkommen, unabhängig von meinen Eltern, auch wenn ich den große Teil wieder in die Pflege Vrenschilds investiert habe. Mit Vrenschild bin ich ein freier Mann.“
Es ist spät für die Frohkost, dem in einen Gottesdienst des Chnum eingebundenen festlichen Morgenmahl des Silurischen Adels. Dennoch lässt Prinz Berendor die Läden des Erkers mit dem Altar des Göttervaters öffnen um ihm als Spender der Ernten zu Danken und seinen Segen für das Mahl, den Tag, die Grafschaft und das Kaiserreich zu erbitten. Jeder adelige Hausvorstand Silurs ist Priester des Chnum. „Ja svose - Ja, das ist wahr“ bekräftigt die Hausgemeinde sein Gebet.
Sehre leisis satt und lagom, den Hunger und den Durst aufs angenehmste gestillt, bei Khavia, dem aus Malz zubereiteten Heißgetränk und Arram, dem aus Süßgras destillierten Schnaps erzählt Vogtin Galba von den Ereignissen in Vrenschild, einer kleinen Welt für sich, einem Idyll, so will es Berendor scheinen und doch Teil des gewaltigen Reiches, das er einst erben wird. Erneut wird ihm bewusst, dass dies die Menschen sind, für die er Kaiser sein wird.
Entsprechend dem silurischen Brauch begleitet er anderntags mit der Vogtin und vielen Einwohnern Vrenschilds die Druiden der angrenzenden Wildländer auf dem Grenzgang, bei dem die Grenzen zwischen Nutzland und Wildland gemeinsam abgeschritten werden und bei dem sich die Druiden des Wildlandes und die Besitzer des Nutzlandes gegenseitig versichern, sie nur einvernehmlich und gemeinsam zu ändern. Der traditionelle Termin des Grenzganges ist der Erste des Katzenmondes, doch dieses Jahr hat man in Vrenschild den Besuch Berendors als Landesherren abgewartet.
Das Freihalten, Festmahl und Festtag zur Feier der Huldigung beendet den Besuch des Grafen Berendor in Vrenschild. Er verlässt das geschmückte Dorf und seine Einwohner, die er herzlich liebgewonnen hat um auf dem Weg gen Talausgang, hinab zum Savretal und in die Silurischen Hauptstadt Belfalas zu reisen.
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