Re: Baleine und Birge - Fee und Findelkind
Verfasst: Mo Nov 10, 2025 7:49 pm
von Merhan
Baleine und Birge - Fee und Findelkind
Die Geschichte, so wie wir sie bis zum Februar 2022 geschrieben haben
Baleine
Die Sonne stand bereits tief am Himmel, als Gräfin Baleine von Chalkis das große Anwesen verließ und sich auf den Weg machte, der Findelfelder Stube ihren regulären Besuch abzustatten. Es war ein langer Tag gewesen und so wurde es nicht wie üblich früher Vormittag, sondern später Nachmittag, doch dafür hatte sie sich etwas besonderes für die Waisenkinder überlegt. Sie würde eine Geschichte vorlesen, aus einem Märchenbuch über Schmetterlinge. Lange hatte sie nach diesem Buch gesucht, denn darin fand sich auch eine Geschichte aus ihrer Heimat - dem Wald von Mannar. Es war eines ihrer wertvollsten Besitztümer, wenn auch nur von emotionalem Wert.
Baleine zog ihren Umhang enger um die Schultern, in der kühlen Briese fröstelte sie ein wenig. Schnellen Schrittes begab sie sich durch eines der vielen Wohnviertel der Kaiserstadt und von dort aus der Berendorkurve folgend in Richtung des Honigbäckermarkts, bis sie in nicht allzu weiter Ferne das vertraute, zweistöckige Sandsteingebäude erblickte. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen, beim Anblick der bunt gestalteten und mit Schmetterlingen bemalten Vorhänge, welche die Fenster des Obergeschosses zierten. Sie erinnerte sich noch genau an den Tag, an dem die Kinder diese kleinen, individuellen Kunstwerke mit viel Freude erschaffen hatten.
Eilig betrat sie die warme Stube, legte den Umhang ab, strich den langen Rock ihres Kleides glatt und zog das große Märchenbuch aus ihrer Tasche. Der waldgrüne Stoff-Einband, bestickt mit goldenen Schmetterlingen, war stets gepflegt worden, und doch sah man an einigen Stellen bereits die typischen Abnutzungen eines geliebten Buches. Vielleicht würde es bald an der Zeit sein, das gute Stück in die geschickten Hände eines verlässlichen Buchmachers zu geben und den Einband zu erneuern, doch darüber wollte Baleine sich nun erst einmal keine Gedanken machen.
"Saluton, Silva Pueri. Schön, dass Ihr uns mit Eurer Anwesenheit beschenkt." begrüßten sie die Worte ihres alten Freundes Yarin Kritos, Koch des Waisenhauses und Bruder von Smae Kritos, der Betreiberin des Waisenhauses, welcher in ihrer Abwesenheit die Organisation und Führung vor Ort übernahm. "Saluton, Yarin. Danke, dass Ihr mich heute auch zu späterer Stunde noch empfangt." Ein warmes Leuchten erfüllte ihre Augen, welches von Unwissenden vielleicht dem Schein des Kaminfeuers zugeschrieben würde. Sie hielt das Buch hoch und nickte in Richtung des Nebenraums. "Die Kinder warten sicher schon auf mich." Yarin nickte, sein Blick glich dem eines Schelms. "Und Ihr wollt sie nicht länger warten lassen." dann trat er aus dem Durchgang und bedeutete der Fee mit einladender Geste, den Raum zu betreten. Diese ließ sich nicht lange bitten und betrat, einen letzten Blick über die Schulter werfend, den Raum, in welchem sie den Waisenkindern regelmäßig Geschichten erzählte.
Birge
Die Mädchen in der Findelfelder Stube träumten. Die jüngsten, dass sie Prinzessinnen seien, welche von liebenden Eltern ganz gewiss eines Tages heimgeholt werden würden. Die älteren, dass sie einen liebevollen und ehrbaren Mann fürs Leben finden würden, einen Bäcker vielleicht. Die Heranwachsenden hatten das Träumen aufgegeben. Sie wussten, dass ihnen hier eines Tages die Türe gewiesen werden würde, und draußen führte die meisten der Weg zu den Bauern aufs Land oder zu den Wohlhabenden in die besseren Häuser der Stadt wo ein armseliges Leben als Magd wartete, oder auf die Decks der Schiffe, wo das Leben grausam und kurz ist. Kaum eine endete auf die Straße, die Findelfelder Stube gab sich alle Mühe ihren Insassen eine Zukunft zu geben, sei sie auch noch so bescheiden oder gefahrvoll.
Birge Falkenriss war am ersten des Falkenmondes als Säugling hier aufgefunden worden, in einen Lumpen gewickelt und von einem Sack geschützt. Ihre Mutter hatte für sie gegeben was sie hatte und mehr war nicht da gewesen.
Birge war 14 Jahre alt und groß für ihr Alter, die größte der Heranwachsenden. Sie schien nur aus dünnen Armen und Beinen zu bestehen, war schlank, ja mager, denn ein Stück Speck in der dünnen Graupensuppe war auch am Chnumdago eine Ausnahme. Birges Gesicht war schmal, ihre Nase vorspringend, ihre Haare stoppelkurz, dass man die rote Farbe kaum ahnen konnte. Das Waisenhaus wusste dem Ungeziefer vorzubeugen. Sie war stark und zäh von harter Arbeit, denn die großen Mädchen mussten zwei, die kleinen nur einen Eimer Wasser vom Brunnen heranholen. Sie war flink mit den Fäusten und schlug hart zu, denn wenn eine sie Falkenschiss oder Besenstiel rief hatte keine Worte zurückzugeben sondern Schläge. Dann setzte es in der Findefelder Stube Strafen und Strafen waren Arbeit.
Birge Falkenriss hatte das Träumen nicht ganz aufgegeben. Sie wollte Hüterin sein. Damen aus dem Adel hatten Hüterinnen um sie jederzeit vor jeder Gefahr zu verteidigen. Sie hatten auch Hofdamen um ihnen Gesellschaft zu leisten und eine Eskorte von Kriegern, um sie zu beschützen. Aber die Loyalität der Hofdamen lag bei den Familien, in die sie hineingeboren waren, die der Krieger bei der Armee. Allein die Loyalität einer Hüterin aus der Findelfelder Stube lag allein bei ihrer Herrin. Mädchen aus der Findelfelder Stube hatten keine Familie, zu der sie heimkehren konnten, keine Armee, welche sie aufnehmen würde. Die Loyalität eines Mädchens aus der Findelfelder Stube war vollständig, eine Hüterin aus der Findelfelder Stube hatte keine andere Zukunft als die an der Seite ihrer Herrin.
Als Baleine die Findelfelder Stube betrat, wurde sie selbstverständlich als Gräfin von Chalkis und Wohltäterin der Waisen mit allen Ehren, welche das Haus bieten konnte und großer Freundlichkeit empfangen. Die jüngsten Mädchen liebten ihre Geschichten, und war Baleine nicht eine Prinzessin wie ganz sicher auch ihre Mütter? Die älteren waren glücklich über eine Stunde ohne Arbeit. Birge hoffte auf einen Moment, in dem sie sich als die Hüterin beweisen konnte welche Baleine brauchen würde. Sie würde Baleine vor jede Gefahr bewahren, vor Attentäter oder pöbelnden Marktbesuchern die ihren Weg hierher gefährdet hatten. So jedenfalls stellte es sich Birge vor.
Baleine
Nach und nach scherten sich die Kinder der Findelfelder Stube um die junge Fee, welche es sich in der Mitte des Kaminzimmers auf einem weinroten Sessel bequem gemacht hatte und das große Buch aufgeschlagen in den Händen hielt. Besonders die jüngeren Mädchen tummelten sich in der vordersten Reihe, aber auch der ein oder andere Bub ließ es sich nicht nehmen, ganz nah mit dabei zu sein, wenn Baleine sie mit ihrer sanften Stimme in eine Welt der Fantasie entführte - und Baleine war wirklich gut darin, Geschichten zu erzählen. Die Augen der Kinder leuchteten, als Baleine zu lesen begann:
"Tief im Walde Mannars lebte einst ein Volk, über das heute nur noch wenig bekannt ist, und das, was über dies Volk bekannt ist, ist heiß diskutiert, ja, gar umstritten." Baleine machte eine bedeutungsschwangere Pause.
"Das Volk, von dem ich rede, ihr mögt es euch schon denken, trägt den Namen Mondai. Es heißt, von ihm stammen die Feen ab." Sie lächelte verschmitzt und fuhr dann fort, aus dem Märchenbuch vorzulesen. Gespannt lauschten die Kinder der Findelfelder Stube ihren Worten. Doch nicht alle Kinder hatten sich um Baleine versammelt. Neben dem großen Kamin an die Wand gelehnt sah Baleine aus dem Augenwinkel ein Mädchen mit kurz geschorenem Haar. Im Licht des Kaminfeuers ließ sich erahnen, dass der Flaum auf dem Kopf des Mädchens in einem ähnlichen Rot schimmerte, wie Baleines eigene sanfte Locken. Baleines Blick wanderte von ihr zurück zu den Kindern, welche vor ihr saßen, und zuletzt in das große grüne Buch zurück.
"Doch die Prinzessin wollte nicht auf die warnenden Worte des Alten hören und so folgte sie den auf der Lichtung tanzenden Schmetterlingen tiefer in den Wald hinein, bis sie kaum die eigene Hand vor Augen zu sehen vermochte."
Erneut ließ die Fee ihren Blick über die Kinder schweifen, während sie weiter erzählte - das Märchen kannte sie auswendig, das Buch war mehr zur Veranschaulichung, als das es einen wirklichen Nutzen hatte. Ein Großteil der Kinder war gespannt nach vorn geneigt, das ein oder andere wippte ungeduldig auf seinem Sitzkissen hin und her, in glühender Erwartung, wie die Geschichte weitergehen würde.
"Die Gestalt beugte sich über die junge Prinzessin - genug, dass diese ihren Duft nach Waldboden an einem warmen Sommertag vernehmen, jedoch nicht genug, dass sie das Gesicht der Gestalt erkennen konnte. "Sag, Mädchen, was führt Euch hier her, so tief in den Wald, wo kein Mensch je einen Fuß hinein zu setzen sich traut? Ist Euer Wunsch nach Macht so groß, dass Ihr Euer Leben dafür riskiert?" Der jungen Prinzessin schauderte es, doch ihr Blick blieb standhaft, ihre Stimme klar."
Bald wäre das Märchen zu Ende erzählt, draußen war es bereits seit einigen Seiten dunkel, und Baleine würde sich auf den Weg nach Hause machen müssen. Bei dem Gedanken an den kühlen Nachtwind, welcher sich bereits am Nachmittag fröstelnd angekündigt hatte, lief auch Baleine ein Schauer über den Rücken. Doch bevor sie sich auf den Rückweg machte, wollte sie noch ein Wort mit Yarin wechseln.
"Und das ist der Grund, warum Mondai Filias auch Gemeine Fliederfee genannt werden." Ein zum Teil erleichtertes, zum Teil wehmütiges Seufzen ging durch die Menge, als Baleine mit diesen Worten das grüne Märchenbuch zuschlug. Die Kinder waren froh darum, dass das Märchen ein gutes Ende genommen hatte und traurig darüber, dass es nun vorbei war, denn das bedeutete, dass sie sich nun wieder dem Alltag widmen und langsam zu Bett gehen mussten.
Birge
Birge suchte sich einen Platz im Hintergrund, wo sie Türen und Fenster im Blick behalten konnte, gleichzeitig aber nah genug an Baleine um vorzuspringen zu können und die Fürstin aus der Reichweite des Dolches eines Attentäters zu zerren. So überlegte sie, ganz in ihrer Rolle als Hüterin aufgehend.
Märchen interessierten sie nicht so sehr, aber wollte sie eine richtige Hüterin werden würde sie die Interessen ihrer Dame teilen. Natürlich wäre es toll, wenn es sich um eine Kriegerin handeln würde, in einem Krieg gab es ganz bestimmt jeden Tag die tollsten Gefahren, in denen sie sich auszeichnen konnte. Aber da sie sich nun einmal vorstellte Baleine zu schützen würde sie eben hier in der Findefelder Stube wachsam sein und ihre Augen und Ohren überall haben.
Etwas abseits stand Alvertos, einer der älteren Jungen. Er musterte Baleine reglos. Er war drauf und dran die Findefelder Stube zu verlassen. Im letzten Jahr hatte er geschwärmt Matrose zu werden - und sobald er stark am Ruder und sicher auf den Masten ist das Kaiserreich zu verlassen um ein Pirat der neuen Bruderschaft zu werden, den wahren Erben der Purpurnen Bruderschaft, wie er sagte.
Schon unter den Kindern des Waisenhauses gab es Kaiserliche, von Alvertos verächtlich Untertanen genannt und deren Gegner, Anhänger der untergegangenen Purpurnen Bruderschaft, Alvertos nannte sie stolz Piraten. Manche Piraten versuchten, sich den Blauen Delfin, das Zeichen der Bruderschaft in den Oberarm zu tätowieren, mit einer Scherbe als Klinge und Kohlenstaub als Farbe. Das war schmerzhaft, doch Piraten kennen keinen Schmerz, so sagten sie. Das Bild ließ häufig einem Delfin nur erahnen und war eher grünlich oder gräulich als blau, doch den Piraten kam es mehr auf die Geste an. Die Tätowierungen wurden in der Findefelder Stube nicht geduldet und ein Heiler nahm sich des Bildes an und entfernte es, eine schmerzhafte Demütigung, welche unter den Piraten den Zorn auf die Kaiserlichen nur wachsen ließ.
Im letzten Jahr hatte Alvertos Birge erst stolz seinen Delfin gezeigt und ihn bald darauf bei einem Besuch des Heilers wieder verloren. Dann war Alvestos schweigsam und verschlossen geworden und hatte keine Pläne mehr geteilt. Er wurde nicht aufsässig und boshaft, doch er redete kaum noch, tat die Dinge, welche ihm aufgetragen wurden ohne Freude, lernte, was er lernen sollte ohne Anteilnahme und ertrug die Freundlichkeit von Hausmutter Smae und die Kameradschaft von Yarin Kritos nur. Die Leute im Waisenhaus sagten, er sei halt in so einer Wachstumsphase und ließen ihn in Ruhe. Einmal hatte Birge ihn erwischt, wie er das Waisenhaus nachts verließ. Er wollte den Grund nicht sagen und Birge verriet ihn nicht. „Findefelder Kinder petzen nicht, Findefelder Kinder halten dicht“ - so sagten die Heranwachsenden, in Abwandlung der Hausregeln.
Während Baleine las versuchte Birge Alvertos Aufmerksamkeit zu erhaschen. Ein hochgereckter Daumen in Hüfthöhe - das bedeutete „Hallo, wie gehts dir?“ in der Zeichensprache der Waisen. Jetzt hätte Alverto das Zeichen wiederholen sollen, während Baleine das Märchen las und niemand die beiden beobachtete. Alverto wirkte angespannt und deutete nur ein Kopfschütteln an. Birge versuchte es erneut. Ein angedeuteter Boxhieb. „Lust zu raufen?“ Raufereien waren in der Findefelder Stube verboten, aber wie sollten die Piraten Kampferfahrung sammeln, außer im Kampf mit den anderen Heranwachsenden und wie sollte Birge für die Rolle als Hüterin üben, wenn nicht beim Raufen mit den Jungen?
Alvertos schüttelte krampfhaft den Kopf, ignorierte sie dann und starrte statt dessen die lesende Baleine an. Birge dachte noch „Was stimmt nicht?“ als Alvertos sich einen Ruck zu geben schien und langsam auf Baleine zuschritt, eine Hand in der Tasche versenkend, sorgfältig in die Lücken tretend, welche die am Boden hockenden Kinder ließen.
Unsicherheit erfüllte Birge. War ihr Kamerad Alverto etwa ein Attentäter? Oder wollte er der Fee ein Geschenk überreichen, war er nervös angesichts der hohen Adeligen? Nein, er zieht ein Messer!
Baleine liest nichts ahnend weiter, Erenor, ein zu ihrem Schutz bestellter Krieger reißt den Mund zum Warnschrei auf, macht einen langen Schritt nach vorne und ist doch noch weit weg, Alverto ist schon fast bei Baleine, ein Kind blickt auf, Birge wirft sich nach vorne, stößt Alverto, Alverto fällt, Birge fällt, Baleine blickt, Kinder erschrecken, der Krieger zerrt Baleine in Sicherheit, Kinder schreien.
Baleine
Yarin stürmt in das Kaminzimmer, der Krieger stürzt sich auf Birge und Alvertos, die am Boden um das Messer rangeln. Baleine steht für einen Moment wie erstarrt an der Stelle, an welche sie der Krieger hektisch geschoben hatte. Ein Schmerzensschrei. Birge sackt auf Alvertos zusammen. Dieser schubst sie von sich. Der Krieger packt Alvertos. Der Boden um Birge färbt sich rot. Baleine setzt sich in Bewegung. Schnell, schnell, dem Mädchen helfen. "Tücher! Ich brauche saubere Tücher! Und Alkohol!" ruft sie Yarin zu. Kinder weinen, die Älteren nehmen die Jüngeren in die Arme oder an die Hände, führen sie aus dem Zimmer hinaus, in den Eingangsbereich der Findelfelder Stube, wo sie von den beiden Frauen, welche gerade den heutigen Nachtdienst in der Findelfelder Stube antreten wollten, empfangen werden.
Baleine beugte sich zu Birge hinab, hielt ihre Hand und redet ihr gut zu. Alvertos hatte sie mit dem Messer erwischt. Eine Fleischwunde im Bauchraum. Sie blutete stark, doch Baleine war zuversichtlich dem Mädchen helfen zu können - hatte sie doch auf ihren Reisen selbst die ein oder andere Wunde versorgen müssen. Als Yarin mit sauberen Tüchern, frischem Wasser, einer Flasche Hochprozentigem und Nadel und Faden wieder kam, bedeutete Baleine ihm, was zu tun war. "Birge, Baleine wird jetzt deine Wunde versorgen." sagte er mit weicher Stimme. Baleine drückte leicht Birges Hand, versicherte ihr, dass alles gut werden würde. Birge versuchte tapfer zu lächeln, doch gelang es ihr aufgrund des stechenden Schmerzes in ihrem Leibe nur mäßig gut. Baleine zerschnitt mit dem Messer, welches neben Birge auf dem Boden lag, Birges Gewand, um die Wunde freizulegen. Nachdem sie die Blutung gestoppt hatte, begann sie, die Tücher in den Alkohol zu tauchen und säuberte vorsichtig die Wunde. Der Alkohol brannte auf Birges Haut doch sie versuchte, tapfer zu sein. Sie wollte Baleine schließlich beeindrucken und ihr beweisen, dass sie die beste Wahl für eine Hüterin der Fee war. Als Baleine nun jedoch Nadel und Faden zur Hand nahm und begann, die Wunde zu nähen, wich die Tapferkeit und Birges Gesicht verzog sich vor Schmerzen, dann verlor sie das Bewusstsein.
Nachdem Baleine Birges Wunde fertig versorgt und Erenor, der Krieger welcher Baleine begleitet hatte, den jungen Alvertos an die Gesetzhüter übergeben hatte, nahm Baleine sich einen Moment Zeit, um nach den Kindern der Findelfelder Stube zu sehen, welche sich auf ihre Zimmer begeben hatten. Sie versicherte ihnen, das alles gut gegangen sei, Birge wohlauf sei, sich aber ausruhen müsse, und dass sie selbst bald wieder kommen würde, um eine weitere Geschichte vorzulesen. Ein kurzes Gespräch und eine innige Umarmung mit Yarin später machte Baleine sich gemeinsam mit Erenor, welcher die bewusstlose Birge in den Armen trug, auf den Heimweg.
Als Birge wieder erwachte fand sie sich in einem weichen Bett, an dessen Seite die Gräfin Baleine auf einem Stuhl sitzend eingeschlafen war. Der Raum erschien ihr unbekannt. Schwere Vorhänge verhingen die großen Fenster, ein dicker, dunkler Teppich bedeckte die Holzdielen des Bodens, in einer Ecke des Raums stand ein kleiner Tisch. Vor der Tür konnte Birge leise Stimmen vernehmen. Leise öffnete sich die Tür und der Krieger Erenor steckte seinen Kopf durch den Spalt. Zunächst fiel sein Blick auf die schlafende Baleine, dann auf Birge. Als er sah, dass diese wach war, nickte er ihr freundlich zu, betrat den Raum und lief in Richtung des Tisches. Er nahm den Krug, welcher auf dem Tisch gestanden hatte, und füllte einen Becher mit der darin befindlichen Flüssigkeit. Diesen brachte er dann Birge mit den Worten "Birkenrindentee mit Honig. Wirkt entzündungshemmend. Trink, Mädchen." und machte sich daran, als Birge ihm den Becher abnahm, wieder in Richtung Tür zu gehen.
Birge
Baleine seufzte im Schlaf. Sie war mit Sorgen eingenickt. An Birge war wenig Fett und ihre Wunde war tief. Wenn innere Organe verletzt waren würde bald das Fieber kommen und nur ein heilmächtiger Priester würde noch verhindern können, dass sie in wenigen Tagen stirbt. Hoffentlich ging alles gut aus. Dann würde Birge in wenigen Wochen mit einer Narbe links vom Bauchnabel abwärts angeben, während sie ihr Abenteuer erzählt.
Birge wachte auf, mit Schmerzen im Bauch und sich schwach und elend fühlend. Neben ihrem Bett schlief Baleine, unbequem auf einem Stuhl sitzend. Die Gräfin sah unverletzt aus. Das war das wichtigste. Es rührte sie und machte sie verlegen, dass die Adelige persönlich bei ihr wachte. Überhaupt, das Zimmer und das Bett. Es sah nach Reichtum aus, ja, es roch nach Reichtum und nirgendwo toben Kinder herum. Gräfin Baleine hat sie ganz gewiss in ihren Palast bringen lassen.
Sie ließ sich zurück sinken. Die Findefelder Stube erhielt oft Besuch. Bäuerinnen auf der Suche nach Mägden, Handwerker auf der Suche nach Helfern. Die Heranwachsenden sollten irgendwann die Stube verlassen und ein eigenes Leben führen. Ihre neuen Herren wurden verpflichtet sie gut zu behandeln und dann waren sie weg um Platz für neue Kinder zu machen.
Alle Jahre war auch Vroni in die Findefelder Stube gekommen und hatte nach Jugendlichen, Mädchen und Jungen gefragt um sie zu Hütern auszubilden. Mit den Heranwachsenden, welche sich vorstellen konnten ihr Leben ganz dem Schutz einer einzigen Person zu widmen statt als Helfer in der Backstube oder als Melkerin auf irgendeinem Bauernhof zu arbeiten hatte sie einen einfachen Test gemacht: Mit einem Stöckchen eine Fliege im Fluge zu treffen. Wer schon nach ein Paar Versuchen gelangweilt oder entnervt aufgab war draußen, wer nicht traf ebenfalls. Birge hatte geduldig gelauert, hatte die Fliege aufmerksam beobachtet und traf sie drei male. Vroni hatte ihr zugenickt und ihr angeboten in ihre Hüterschule im Schatten der Stadtmauer zu kommen, sobald sie sich alt genug fühlte. Treue und Geduld, Aufmerksamkeit, Schnelligkeit, das sind die Tugenden des Hüters.
Birge hatte in der Begegnung mit Vroni etwas gefunden, was sie besser konnte als alle anderen in der Findefelder Stube. So war in ihr der Wunsch erwacht Hüter zu werden, so wie in den Jahren zuvor bei einigen anderen Mädchen und Jungen. Sie war sicher sich gut geschlagen zu haben und ganz bestimmt eine ausgezeichnete Hüterin zu werden. Wieder spürte sie heftige Schmerzen. Wenn sie denn den Tag überlebte.
Später kam Erenor, der Krieger und brachte einen Tee, der zugleich süß und bitter schmeckt und drängte den zu trinken, obwohl sie gar nicht trinken möchte. Endlich war der Tee auf und der Mann ging. Es drängte sie mit Baleine zu reden. Die Gräfin musste sie einfach als Hüterin wollen.
Baleine
Würde das Mädchen überleben? Diese Frage wirbelte Baleine noch immer durch den Kopf, als ihr die Augen zufielen und verfolgte sie bis in einen wirren, wilden Traum. Dunkelheit. Nacht? Ein weiches Bett. Plötzlich Wellen. Eine Brandung, welche über Baleine bricht. Wellen, die sich in Schmerzen verwandeln. Wehen? Aufstehen. Aus dem Bett steigen. Wehen, die sie in die Knie zwingen. Ihre Hände, die sich an der Bettkante festklammern, bis die Fingerknöchel weiß werden. Töne, animalisch und instinktiv. Atmen. Pressen. Das erste leise Wimmern eines Säuglings. Liebe. Unendliche, alles erfüllende Liebe. Ein Luchs, der durch die Schatten schleicht. Nein, kein Luchs. Eine Gestalt. Ein Mann? Das Kind weint, als es Baleines kraftlosen Armen entrissen wird. Baleine, die hilflos erneut in Wehen versinkt. Das Weinen wird leiser. Und dann, das erste, leise Wimmern eines Säuglings. Die Welt beginnt sich zu drehen. Schneller und immer schneller. Ohnmacht.
Schweißgebadet schreckte Gräfin Baleine von Chalkis aus dem Schlaf, zunächst orientierungslos, sich dann darüber bewusst werdend, dass sie noch immer auf dem Stuhl an Birges Bett saß. Baleine rieb ihre Wangen. Ein schrecklicher Traum. Sie schüttelte den Kopf, wie um die Bilder zu vertreiben. Als sie sah, dass Birge wach war, erhob sie sich. "Oh, du bist wach! Wie geht es dir? Hast du Schmerzen?" Besorgt legte sie eine Hand auf Birges Stirn. Vielleicht ein wenig wärmer, als gewöhnlich, aber fiebrig fühlte sich das Mädchen nicht an. Erleichtert lächelte Baleine Birge an. "Bist du hungrig? Möchtest du etwas trinken? Ist dir kalt? Ich kann dir noch eine Decke geben. Warte, ich hole schnell die Parana Priesterin, sie soll sich deine Wunde anschauen." Sie streicht Birge sanft über die Wange. "Ruh dich noch ein wenig aus. Hier bist du in Sicherheit."
Nachdem die Parana Priesterin Birges Wunde ausgiebig betrachtet, eine duftende Salbe aufgetragen und die Wunde anschließend neu verbunden hatte, seufzte Baleine erleichtert. Das Mädchen würde überleben. Die Wunde war nicht so tief, wie befürchtet und schien bereits gut zu heilen. Birge sollte einige Tage das Bett hüten und wäre dann, bis auf eine kleine Narbe links unten neben dem Bauchnabel wieder ganz die Alte. "Ich kann dir gar nicht genug danken, und dich gleichzeitig nicht genug rügen, für eine solche Handlung, mit der du mir.." Baleine hielt kurz inne und legte eine Hand auf ihren eigenen Bauch "Vermutlich einiges erspart hast. Törichtes Mädchen, setzt dein eigenes Leben so unbedacht aufs Spiel." Sie schüttelte den Kopf, dann lächelte sie Birge liebevoll an. "Tapferes Mädchen. Meine Heldin. Sag, kann ich dir zum Dank irgendetwas geben? Hast du einen Wunsch, den ich dir erfüllen kann?" Bei diesen Worten musste sie ein wenig schmunzeln - hatten die Menschen sich doch viele Märchen erdacht, in welchen eine gute Fee einem nach einer guten Tat einen Wunsch erfüllte.
Birge
Birge erschrak, als Baleine begann sich auf ihrem Stuhl zu winden und wimmernde Laute ausstieß. War die Fee krank? Wurden Feen überhaupt krank? Hatte sie einen Krampf weil sie so unbequem saß? Birge versuchte einen Hilferuf, doch es kam nur ein schwacher, heiserer Laut, mit neuen Schmerzwellen in ihrem Bauch. Glücklicherweise genügte der um Baleine zu wecken. Die Fee wirkte einen Moment verwirrt, wischte sich dann durchs Gesicht und setzte entschlossen die „Alles ist gut, Kind“- Mine der Erwachsenen auf, wie es die Erwachsenen tun, wenn gar nichts gut ist.
Dann begann Baleine um sie herum zu wirbeln und dann war der Moment vorbei um nach dem Grund für das Verhalten der Fee zu fragen. Ohnehin war sie erschöpft und musste Patientin sein. Hast du Schmerzen? - Geht so; Baleines Hand auf ihrer Stirn - wunderbar weich und kühl; hast du Hunger? - nein; hast du Durst? - ein bisschen; ist dir kalt? - nein - doch - weiß nicht. Birge ließ sich die zweite Decke über legen und schlummerte ein, bis die Paranapriesterin kam und sie erneut Patientin sein musste. Fee und Priesterin redeten miteinander, so als ob sie gar nicht da wäre, sie verstand etwas von „das Bett hüten“ und das war gut.
Als die Priesterin gegangen war sagte Baleine etwas von Danken und Rügen, das Birge nicht recht verstand, so dass sie nur leise ja sagte. Damit schien Baleine zufrieden zu sein.
Dann fragte sie Baleine ob sie ihr einen Wunsch erfüllen kann. Nicht so, wie man ein Mädchen fragt, ob es lieber ein Kleid oder eine Puppe möchte. Nein, so, wie sie eine erwachsene Frau nach ihrem Wunsch fragen würde. Der war klar und eindeutig: „Ich möchte deine Hüterin sein“, antwortete Birge, leise, doch so fest sie es vermochte.
Baleine
Hüterin also, das war der Traum des Mädchens. Baleine nickte, mehr zu sich selbst, als zu Birge, welche schon wieder halb in den Kissen versank. Baleine würde mit Vroni reden müssen. Vroni, die großgewachsene, muskulöse Frau mit braun gebrannter und den für Amazonen typischen Grünton aufweisender Haut und dunklem Haar, das in einem eben solchen Grünton schimmerte, welches sie stets in zwei Zöpfe geflochten trug. Vroni, die nach außen so kühl und bedrohlich wirkte und doch eine der wärmsten und liebevollsten Personen war, die Baleine kannte. Vroni leitete die Schule, in welcher in Chalsyrren HüterInnen ausgebildet werden. Baleine hatte Vroni vor einigen Jahren auf dem Honigbäckermarkt kennengelernt, als sie selbst mit den Kindern der Findelfelder Stube dort gewesen war. Die beiden hatten sich auf Anhieb gut verstanden und Baleine unterstützte Vroni oft beim Aufbau Zh'al Kyris, der HüterInnenschule, indem sie moralischen Beistand leistete, sich mit den höheren Bürokraten der Stadt auseinandersetzte oder Vroni zu Kundschaft verhalf. Die hübsche Amazone war damals ihrem Herzen gefolgt und hatte ihre Heimat verlassen, um mit einem Mann, einem Seefahrer gemeinsam zu leben. Nach seinem plötzlichen Tod eröffnete sie dann die Hüter*Innenschule.
"In Ordnung." flüstert Baleine, Birge sanft über den Kopf streichelnd. "Gleich morgen werde ich mit Vroni al Lhantar sprechen, sie soll dich zu Beginn des neuen Jahres in ihrer Schule aufnehmen. Aber erst mal musst du gesund werden."
Des Nachts lag Baleine häufig wach und dachte über den Traum nach, welchen sie gehabt hatte, als sie an Birges Krankenbett gewacht hatte. Was hatte dieser wohl zu bedeuten? War etwas dran, an dem Traum? Sie selbst erinnerte sich kaum an die Zeit, in der ihre Tochter Felianne geboren worden war. Bei Gelegenheit wollte Baleine mit einer Traumdeuterin darüber sprechen, doch erst einmal standen wichtigere Dinge an.
Zwei Wochen später war Birge schon fast wieder die Alte. Birge war kurzerhand bei Baleine geblieben - auf Baleines Wunsch hin. So saßen die Beiden gerade beim Frühstück, heute wohnte ihnen der gutaussehende Prinz Silurs bei, Merok, so hatte Baleine ihn genannt, sowie der selten anwesende Herr des Hauses, Olias Sandhügel, als ein Brief eintrudelte. Die Stimmung zwischen den beiden Männern war angespannt, irgendetwas war wohl vorgefallen, doch was, das wusste Birge nicht. Seufzend legte Baleine ihr Messer nieder und öffnete den Brief. Die Unterbrechung kam ihr eigentlich ganz gelegen - die junge Gräfin hatte seit ein paar Tagen mit Übelkeit zu kämpfen und bekam kaum einen Bissen hinunter. Morgen würde Olias Cousin Miros auf der Grafschaft einziehen und einige Monde bleiben, und am Ende der Woche, wenn der Einhornmond zur Hälfte vergangen war, wären sie auf der Botschaft Antams in Chalkis geladen um gemeinsam mit Netor Hylar zu speisen. Beunruhigt las Baleine, was in dem Brief geschrieben stand. Dann legte sie den Brief auf dem Frühstückstisch nieder und rieb sich die Schläfen.
"Birge? Meinst du, du bist bereit, längere Zeit zu sitzen und eine anstrengende Aufgabe zu erfüllen?" sie deutet auf den Brief "Dies ist eine Vorladung. Es wird eine Gerichtsverhandlung geben, in welcher das Schicksal Alvertos entschieden wird. Und unsere Anwesenheit wird verlangt. Meine, und deine ebenfalls - heute in zwei Wochen zur Mittagszeit, beim großen Gericht."
Birge
Birge hat in den vergangenen Wochen sehr viel gelernt. Das meiste ist schwer zu verstehen. Verglichen mit dem schlichten Dasein der Waisen in der Findelfelder Stube führt Baleine ein ungeheuer kompliziertes Leben, mit unzähligen Menschen und Elfen, die sie kennt und alle haben lange Namen und tragen viele Titel. Mit ihnen wird konferiert und diniert und flaniert und zelebriert und es werden tausend weitere Dinge getan, die noch schwierigere Namen haben. Birge hat den Ehrgeiz bei all diesen Gelegenheiten Baleine zu begleiten und dabei eine gute Figur zu machen und vor allem nicht weiter aufzufallen. Hüterinnen sollen nicht auffallen, sie sollen im rechten Moment retten. Aber um Gefahren für ihre Dame abschätzen zu können - und Chalkis ist ein gefährlicher Ort - muss sie lernen die tausenden Dinge und Personen dort zu bewerten und zu gewichten.
Viel besser gefallen ihr die Übungen im waffenlosen Kampf in dem Baleine als Fee Meisterin ist. Da Baleine täglich übt um ihr Können zu erhalten, ja auszubauen kann sie sich beteiligen. Birge ist schnell, fraglos, doch all ihr Können hat sie beim Raufen mit anderen Kindern in der Findefelder Stube erworben. Baleine hingegen hat die Übung von Jahrzehnten und bereits der erste Gang mit ihr zeigt Birge, wie viel sie auch hier lernen muss. Als Baleine sie am Krankenbett für ihre Hilfe nicht nur gelobt sondern auch gerügt hatte war sie ein wenig erbost gewesen. Schließlich ist sie bereits 14 Jahre und weiß was sie tut, dachte sie. Nun, nach einigen Stunden mit einer wahren Könnerin im Kampfe muss sie erkennen, wie viel Glück sie hatte, dass kein Kind verwundet wurde, dass ihre stürmische Rettungstat nicht Baleine zusätzlich verletzt hat.
Natürlich trägt Birge auch das schlichte Kleid aus der Findelfelder Stube nicht mehr. Baleine hatte ihre Ausstatterinnen, Schneiderinnen und Putzmacherinnen und Schusterinnen bestellt, dass sie eine angemessene Garderobe erhält. Alle reagieren sie gleich. Zunächst erschrecken sie über Birges Körpergröße, dann entsetzen sie sich über ihre raspelkurzen Haare und schließlich haben sie Mitleid mit ihrer jungenhafte Figur. Dabei hat sie ihre Körpergröße nicht ausgesucht und Fraulichkeit würde wohl mit den Monaten kommen. Nur auf ihren Haarschnitt ist sie stolz. Nach einem Fall von Kopfläusen im Waisenhause waren alle Kinder geschoren worden. Bei den Mädchen wuchsen die Haare nach und wurden bald wieder zu Zöpfen geflochten, bei den Jungen beließ es der alte Friseur, der zu diesem Zweck alle Weile ins Waisenhaus bestellt wurde beim Stoppelschnitt. Birge gefällt ihr nackter Kopf, er lässt sie, zusammen mit ihrer Größe, rebellisch und bedrohlich erscheinen und so stellte sie sich beim Friseurtermin mit den Jungen an und erhielt deren Einheitshaarschnitt.
Dann machen sich Baleines Ausstatterinnen ans Werk, angeleitet von den Wünschen der Fee, denen sie viel mehr Aufmerksamkeit schenken als den Forderungen von Birge. Schließlich trägt das Mädchen ein auffällige Weste mit goldenen Stickereien und einen knielangen Faltenrock, beides im am Grünen Meer beliebten Bieler Blau, über einer schlichten braunroten Bluse und einer Strumpfhose in gleicher Farbe, dazu braunrote, wadenhohe Stiefel mit goldenen Spangen, zugleich die Farben Baleines und der Stadt Chalkis zitierend. Das hat viel pagenhaftes und wenig prinzessinnenhaftes und auch Birge ist zunächst recht zufrieden.
Als aber die Putzmacherin ihr eine Kappe auf den Kopf setzen will, braunrot mit einem blauen Band, gibt es dann beinahe Streit. Birge will „sowas“ „nie und nimmer“ aufsetzen. Veralynne Amicus, die Hausdame von Baleine weist ungeduldig darauf hin, dass Birge mit ihrem kahlen Kopf in Gesellschaft auffällt wie ein Barbar im Boudoir - ein wilder Krieger im Ankleidezimmer einer Dame, erklärt Veralynne, als Birge ratlos guckt. Baleine hingegen verkneift sich ein Lachen und sagt, dass Birge die Kappe nicht tragen muss. Veralynne blickt empört zu Baleine und auch Birge ist das nicht recht. Was nutzt ihr die Rasur ihres Kopfes, wenn die von Baleine für gesellschaftlich akzeptabel erklärt wird? So wählt Birge schließlich die Kappe und entscheidet, über ihre Frisur ein anderes mal nachzudenken. Auffallen wie ein Barbar im Boudoir will sie nicht, eine Hüterin soll unauffällig sein und ihre Hüterinnenschaft ist ihr ernster als irgendetwas sonst.
Ratlos steht Birge vor den Beziehungen von Baleine. Gerade jetzt bei Tisch leisten der Fee gleich zwei Männer Gesellschaft. Hausmutter Smae hatte in der Findefelder Stube erklärt, dass eine Frau und ein Mann heiraten, wie zu jedem Topf ein Deckel gehört. Baleine hingegen schien mit zwei Deckeln, Olias Sandhügel, der auch Vater ihrer Tochter Felianne ist und Prinz Merok gut zufrieden zu sein. Prinz Merok bemüht sich auch sehr um Baleine und Olias, doch der scheint mit der Anordnung weniger glücklich zu sein.
Jetzt kommt das Gespräch auf den Gerichtstermin. Natürlich wird sie Baleine begleiten, und wenn sie dann bis zum Ende ihrer Tage sitzen muss. Doch was würde aus Alvertos werden? Die Gesetzeshüter von Chalkis hatten ihn mitgenommen und sie wusste nicht, was aus ihm geworden. Sie wusste auch nicht, was sie ihm wünschen sollte. Er war ein Kamerad aus der Findelfelder Stube. Da waren natürlich die Raufereien gewesen, nach der gereimten Hausordnung untersagt, aber das war ja nicht so schlimm und sie hatte immer gerne mit gerauft. Er hatte auch zum Licht gebetet und das war ihm, da ist sie sicher, so ernst wie allen anderen Kindern. Und er hatte versucht Baleine, die jetzt ihre Dame ist, umzubringen und das verstand sie nicht. Baleine erklärt, dass sie nur sagen muss, was an dem Nachmittag beim Vorlesen passiert ist, und sie ist erleichtert, dass mehr nicht erwartet wird.